Dada-Propaganda

Von Anfang an betrieben die Dadaisten eine ganz gezielte Propaganda, die in verschiedenen Medien wie Plakaten, Manifesten, Publikationen, Handzetteln und Zeitschriften ihre Verbreitung fand. Dabei wurden die Techniken und Formen der massenmedialen Propaganda  gezielt kopiert und parodiert.

Bereits 1916 wurde in Anlehnung an das Cabaret Voltaire mit der Publikation eines gleichnamigen Sammelbandes unter der Leitung Hugo Balls begonnen. Ein wichtiges Vorbild hierfür war der “Blaue Reiter”, ein Almanach der 1912 von den Expressionisten Wassily Kandinsky und Franz Marc zusammengestellt wurde. Bei den Dadaisten ging es dabei um die Förderung unterschiedlicher künstlerischer Richtungen, die  hauptsächlich Dichtung und bildende Kunst umfassten. Hinzu kommt der Einbezug ausländischer Künstler und verschiedenster Stile. Diese inhaltliche Vielseitigkeit macht deutlich, dass die Züricher Gruppe rund um Hugo Ball keine Antwort auf die Frage “Wer sind wir eigentlich?” geben konnte oder wollte.

Neben jeglichem künstlerischen Anspruch, spielte auch die Finanzierung des eigenen Lebensunterhaltes eine entscheidende Rolle für die Dadaisten. Alle Aufgaben in Zusammenhang mit der Herausgabe der Publikation wurden selbst übernommen, mit der Begründung, dass man den Experten nicht trauen könne. Das Ergebnis dieser Einstellung waren Kontrolle, Eigenprofit und eine ganze Menge Arbeit.

Das “Cabaret Voltaire” erschien nur ein einziges Mal. Es folgte 1917 die Zeitschrift “Dada” unter Tristan Tzara in drei Ausgaben. Richard Huelsenbeck publizierte 1920 in Zusammenarbeit mit den Berliner Dadaisten den “Dada Almanach”, eine Art Jahrbuch mit einem Querschnitt durch das gesamte Schaffen der künstlerischen Bewegung. Unter der Ägide von Huelsenbeck und Johannes Baader kam es zu einer ganzen Fülle an weiteren Zeitschriften wie u.a. “Der blutige Ernst” oder “Die Pleite”. Auch wenn sich diese stark von der Gesinnung Hugo Balls und den Anfängen in Zürich unterscheiden, kann gesagt werden, dass Dada sich als künstlerische Bewegung ganz wesentlich durch und in der Fabrikation von Propagandamaterial konstituiert.

Lisa Michels

Weiterführende Literatur

Hugo Ball, Die Flucht aus der Zeit, Luzern: Stocker, 1946. Günther Eisenhuber, Manifeste des Dadaismus: Analysen zu Programmatik, Form und Inhalt, Berlin: Weidler, 2006.

Richard Sheppard, Zürich-Dadaco-Dadaglobe: the correspondence between Richard Huelsenbeck, Tristan Tzara and Kurt Wolff (1916 – 1924), Tayport: Hutton-Press, 1982.

Dada goes Gaga

„Rah rah ah ah ah. Ro ma ro ma mah. Ga ga ooh la la.“

Das sind nicht etwa Verse eines von Hugo Ball verfassten Lautgedichtes, nein. Mit diesen Wortschnipseln pusselt Stefani Joanne Angelina Germanotta, eine amerikanische Sängerin – bekannt unter dem Künstlernamen »Lady Gaga« – den Chrous zu ihrer Single »Bad Romance«, aus dem Jahr 2009. Mancher Auffassung nach gilt sie als zeitgenössische Erscheinung der »Dada-Baroness«, Elsa von Freytag-Loringhoven. So auch in den Augen von Adrian Notz, dem Direktor des Cabaret Voltaire und Co-Kurator der Austellung »Genese Dada«. Spricht Gaga demnach DADA? Streng genommen nicht.

DADA war in seinen Zürcher Anfängen literarischer Natur. Mit sinnfreien Lautgedichten, wie etwa Hugo Balls »Karawane« („jolifanto bambla ô falli bambla…“), sollte die Sprache in die Wiege ihrer Unschuld zurückversetzt werden. Sie sei verdorben und unmöglich, so Ball. „Das Gedicht will die Verschlungenheit des Menschen in den mechanistischen Prozess verdeutlichen. In typischer Verkürzung zeigt es den Widerstreit der vox humana mit einer sie bedrohenden, verstricktenden und zerstörenden Welt, deren Takt und Geräuschablauf unentrinnbar sind.“ [Hugo Ball] Nicht sie machen Unsinn, sondern Unsinn ist die Wirklichkeit, erklärte Kurt Schwitters. Kunst sollte nicht länger in Abgrenzung zum Alltag wahrgenommen werden. Sie soll vermenschlicht werden. Kurz: Die Dadaisten verweigerten sich allem Etabliertem. Vielmehr noch sagten sie den bisherigen Traditionen, in Zeiten zahlreicher kulturgeschichtlicher Umbrüche, wollüstig den Kampf an.

Als es die DADAs peu à peu nach Berlin, New York, Paris bis Köln und Hannover zog, nahm ihre Kunst immer mehr Gestalt an. Etwa in Form von Collagen – das bedeutsamste dadaistische Mittel – in denen „mal absurd, mal poetisch, mal giftig satirisch zusammengefügt wurde, was ursprünglich nicht zusammengehört hatte.“ [Boris Hohmeyer] So bietet DADA, Raoul Schrott zufolge, nicht nur eine Bestandaufnahme des Alten, sondern zementiert den Weg zu dem, was die Popmusik am Anfang des 21. Jahrhundert ausmacht: Die gesamte Ästhetik der Videokunst, des Digitalen. Was sich bereits in DADA-Collagen, wie einst von Hans Arp und Sophie Täuber-Arp, finden lässt. Ist es also weniger die DADA-Sprache, die Gaga ausmacht, als vielmehr eine Ästhetik, mit einem Hauch DADA.

Gemein haben sie ihre negierende, rebellische Attitüde – gegenüber festgefahrener Anschauungen, wie auch gegenüber der Konsumgesellschaft. Angesichts dem Video zu »Alejandro« machte man Gaga den Vorwurf der Blasphemie. In einer transparenten Nonnen-Kutte – unter der ein Slip, geziert mit einem umgekehrten roten Kreuz, zum Vorschein kommt – rekelt sie sich in einer Schar nackter Männer-Oberkörper. Eine Provokation ganz im Sinne der DADA-Kunst. So oszilliert der Gesamteindruck in einer Vielzahl ihrer Performances zwischen DADA und POP. Dennoch bleibt Gaga als Geste des DADA zu verstehen. Als DADA-Beigeschmack sozusagen. Als vermittele sie einem ein gewisses Gefühl davon, wie man sich einen jener Abende im Cabaret Voltaire vorstellen könne.

Claire Zimmermann

Dada-Sprache

„Alle lebendige Kunst aber wird irrational, primitiv und komplexhaft sein, eine Geheimsprache führen und Dokumente nicht der Erbauung, sondern der Paradoxie hinterlassen“ (Hugo Ball, 1915, Flucht aus der Zeit)

Die Lautgedichte gehören zu den wertvollsten Zeugnissen des Dadaismus. Obwohl auf den ersten Blick unsinnig und inhaltslos erscheinend, beinhalten sie den programmatischen Kern der frühen Züricher Dadaisten. Hugo Ball, Mitbegründer des Cabaret Voltaire, nimmt in diesem Rahmen eine Schlüsselrolle ein. Durch seine Inszenierung im Juni 1916 als magischer Bischof, gilt er bis heute als Pionier auf dem Gebiet der Lautdichtung.

In den Zeiten des Ersten Weltkriegs und der damit verbundenen Kriegspropaganda, beginnt Balls Kritik bei dem Gebrauch der Sprache als rein funktionales Kommunikationsinstrument. Zudem verabscheut er den Materialismus und die fortschreitende Ökonomisierung des gesellschaftlichen Lebens wie sie im Sprachgebrauch des Bildungsbürgertums zum Ausdruck kommen. Aufgrund dieses Missbrauchs seien die konventionellen Worte unbrauchbar geworden.

Als logische Konsequenz daraus, sieht er den kompletten Verzicht auf die traditionelle Sprache als gangbaren Weg an. Ein Künstler soll nicht fremde Worte benützen müssen, sondern in einem schöpferischen Akt eigene Worte finden. Dies ermöglicht die Rückbesinnung auf das Wesentliche; den Ur-Sinn.

Die „Wortlosigkeit“ der Lautdichtung ermöglicht unmittelbare Eindrücke im Gegenüber und konstituiert damit eine Ästhetik der Assoziationen. Auf diese Weise birgt der Protest gegen die herkömmliche Sprache einen Schaffensmoment. Er liegt in der Entstehung und gleichzeitigen Überwindung von Paradoxen. Das Losmachen von Sinn und Annehmen der Unmittelbarkeit lässt einen Moment totaler Indifferenz eintreten, in welchem Gegensätze verschmelzen. Es entsteht eine unverbrauchte Geheimsprache, lingua divina, die nur der Künstler kennt.

Dada spielt mit Unsinn. Wie in der Lautdichtung findet sich im Moment der Überwindung von Sinn und (konventioneller) Ordnung die Möglichkeit des Unmittelbaren. Wie Kandinsky schon sagte: „Abstraktion heißt hier nicht gegenstandslos, sondern ‘konkret‘.“ (Über das Geistige in der Kunst).

Anna-Stephanie Gurt

Dada – Kunst und Bühne

Rudolphe Salis, Frank Wedekind, Alfred Jarry, Wassily Kandinsky, Hugo Ball. – Le Chat Noir, Die Elf Scharfrichter, „Ubu Roi“, „Über Bühnenkomposition“, „Das Neue Theater“.
Dies sind die Namen von Personen, Institutionen und Schriften, welche maßgeblichen Einfluss auf die Theater- bzw. Bühnenreform des ausgehenden 19. Jahrhunderts nahmen. Rudolphe Salis gab Künstlern in dem Anfang der 1880er Jahre in Paris gegründeten Kabaretts „Le Chat Noir“ die Mög-lichkeit, eigene Kompositionen persönlich zu präsentieren. Das Aufführen von Sketchen und das Vortragen satirischer Gedichte und Aufsätze im kleinen Rahmen, der das Publikum miteinbezog, wurden später auch bei den „Elf Scharfrichtern“ in München und der Züricher Künstlerkneipe „Cabaret Voltaire“ eine beliebte Form der gesellschaftskritischen Unterhaltung. Vor allem auf die erwähnte Interaktion mit dem Publikum wurde großer Wert gelegt, das durch seine Reaktion das Bühnengeschehen aktiv mitgestalten sollte. Die Inszenierungen der Dadaisten folgten keinem vor-gefertigten, gut durchstrukturierten Drehbuch, sondern waren vielmehr auf Spontanität und im-provisierte Dialoge mit einzelnen Zuschauern ausgelegt. Die Trennung zwischen Bühnen- und Zu-schauerraum wurde somit nicht nur architektonisch weitestgehend aufgehoben, sondern auch mit-tels aktiver Handlungen minimiert. Das Publikum agierte sozusagen als Co-Produzent des Bühnen-geschehens. Mit diesem Anliegen griffen die Künstler im „Cabaret Voltaire“ auf eine Idee zurück, die ein französischer Schriftsteller bereits einige Jahrzehnte zuvor umzusetzen sich bemüht hatte. Durch die bewusste Provokation der Theaterbesucher in seinem bekanntesten Werk „Ubu Roi“, gelang es Alfred Jarry das Pariser Publikum aus der Reserve zu locken und das Theaterwesen des späten 19. Jahrhunderts in Aufruhr zu versetzen. In dem systematischen Bruch mit gesellschaftli-chen und ästhetischen Normen und Wertvorstellungen liegt eine weitere Parallele zu der späteren Züricher Künstlervereinigung. Es scheint naheliegend von einer mehr oder weniger direkten Be-zugnahme auf eine dieser Aufführungen „König Ubus“ zu schließen, wenn Hugo Ball 1914, noch vor der Gründung des Cabaret Voltaire, seine Vorstellungen des Theaters in einem Text für den geplanten, dann ab er nie erschienenen Almanach „Das Neue Theater“ wie folgt beschreibt:

„Das expressionistische Theater, so lautet meine These, ist eine Festspielidee und enthält eine neue Auffassung des Gesamtkunstwerkes. Die Kunstform der gegenwärtigen Theater ist impres-sionistisch. Die Vorgänge wenden sich an den Einzelnen, an den Verstand. Das Unterbewußte wird nicht gestört. Das neue Theater wird wieder Masken und Stelzen benützen. Es will die Urbil-der wecken und Megaphone gebrauchen. Sonne und Mond werden über die Bühne laufen und ihre erhabene Weisheit verkünden.“ (Hugo Ball, Die Flucht aus der Zeit, Luzern: Stocker 1946, S. 12)

Masken und Stelzen – beides sind Requisiten, die bei den Inszenierungen zum Werke Alfred Jarrys zum Einsatz kamen. Aber auch die Stilisierung und bildliche Vereinfachung verschiedener Elemente sind wesentlicher Bestandteil des Theaterstücks. Und obwohl Kandinsky erst 1911, knapp fünfzehn Jahre nach der Uraufführung von „Ubu Roi“, seinen Aufsatz „Über Bühnenkomposition“ publizierte, scheinen seine wesentlichen Forderungen in diesem Stück bereits erfüllt. Die Fusion aller Künste unter Beibehaltung ihrer Individualität und somit deren gleichwertige Behandlung ist für den Russen oberstes Gebot. Die Idee des Theaters als „Gesamtkunstwerk“ wird nicht zuletzt von den Künstlern des der Züricher Künstler-kneipe wiederaufgenommen und in die eigenen Inszenierungen integriert. Sowohl die bildende Kunst als auch Literatur, Musik und Tanz werden in die Soiréen des „Cabaret Voltaire“ mit einbezogen. Hierbei lassen sich die Mitglieder der Künstlerkneipe ebenso von kabarettistischen Arbeiten wie auch von Aspekten des „klassischen“ Theaters inspirieren, sodass die Grenzen der beiden Gattungen verschwimmen. Es etablierte sich eine Form des Schauspiels, die nicht mehr ausschließlich den höher gestellten Schichten, d. h. der gesellschaftlichen Elite, vorbehalten war, sondern sich viel mehr an ein bunt gemischtes Publikum richtete und der Allgemeinheit zugänglich gemacht wurde.

Danika Helbing

Künstlerkneipe Voltaire

Mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges zog es viele Intellektuelle und Künstler, aufgrund der in der Schweiz vorherrschenden Pressefreiheit und seiner politischen Neutralität, in das Nachbarland. Zu den Emigranten zählte auch der Deutsche Hugo Ball, der gemeinsam mit seiner späteren Lebensgefährtin Emmy Hennings im Herbst 1915 nach Zürich zog.

Ball hatte zuvor in München als Dramaturg und Regisseur gearbeitet, Hennings war eine Kabarettsängerin und bekannte Tänzerin. Daher bot es sich für beide an, auch in der Schweiz ihren Lebensunterhalt im Unterhaltungssektor zu verdienen, zudem entwickelten sie Pläne für die Eröffnung eines Cabarets.

Dafür wurde ein kleiner, mit einer Bühne ausgestatteter Raum von dem Wirt Jan Ephriam, der die Gaststätte „Meierei“ in der Spiegelgasse 1 betrieb, zur Verfügung gestellt. Seit dem Eröffnungsabend am 5. Februar 1916 fand hier zunächst täglich außer freitags und später (aufgrund der hohen Nachfrage) die ganze Woche über ein variierendes Abendprogramm statt. Benannt wurde die Künstlerkneipe nach dem französischen Aufklärer Voltaire, der auch ein politischer Pamphletist war und mit dem Roman Candide oder die beste aller Welten (1759) ein Meisterwerk philosophischer Satire geschaffen hat.

Das Plakat für die Eröffnungsveranstaltung wurde von dem Künstler Marcel Slodki angefertigt.

Ball, der mit der Künstlerkneipe Voltaire einen Ort für die Synthese der verschiedenen Kunstgattungen schaffen wollte, verstand sich selbst als Initiator dieser Veranstaltungen und warb für eine für Jedermann offene Bühne. Dadurch wurde eine Art Plattform geschaffen, auf welcher Künstler unterschiedlichster Nationalitäten eigene und fremde Texte, Musik, Tanz und Kunst präsentieren konnten.

Schnell bildete sich eine Kerngruppe an Mitwirkenden heraus, welche aus Ball, Hennings, Marcel Janco, Tristan Tzara, Hans Arp und dem, im Februar 1916 angereisten, Richard Huelsenbeck bestand. So entwickelte sich die Künstlerkneipe immer weiter weg von ihrer anfänglich traditionellen Kabarettform und hin „zum Tummelplatz verrückter Emotionen“ (Ball, Flucht aus der Zeit, 26.02.1916). Es wurden geradezu chaotische Experimente durchgeführt, darunter literarische Versuche wie die Geräuschgedichte, das Simultangedicht oder Lautgedicht. Um die Vorgänge im Cabaret Voltaire – wie die Künstlerkneipe schließlich benannt wurde – zu dokumentieren wurde im Mai 1916 der gleichnamige Sammelband publiziert, welcher der Gruppe die Möglichkeit eröffnete, ihre Ideen auch außerhalb Zürichs zu propagieren. Bereits Ende Juni 1916 wurde das Cabaret Voltaire wieder geschlossen.

Katharina Massing

Das Cabaret Voltaire existiert noch heute. Hier gibt es ein spannendes Interview mit dem Direktor Adrian Notz.

Weiterführende Literatur

Hugo Ball, Flucht aus der Zeit, Luzern 1946.

Richard Sheppard, Dada Zürich in Zeitungen. Cabarets, Ausstellungen, Berichte und Bluffs, Siegen 1992.

Raimund Meyer, Dada in Zürich. Die Akteure, die Schauplätze, Frankfurt am Main 1990.

Miklavz Prosenc, Die Dadaisten in Zürich, Bonn 1967.