Dada – Kunst und Bühne

Rudolphe Salis, Frank Wedekind, Alfred Jarry, Wassily Kandinsky, Hugo Ball. – Le Chat Noir, Die Elf Scharfrichter, „Ubu Roi“, „Über Bühnenkomposition“, „Das Neue Theater“.
Dies sind die Namen von Personen, Institutionen und Schriften, welche maßgeblichen Einfluss auf die Theater- bzw. Bühnenreform des ausgehenden 19. Jahrhunderts nahmen. Rudolphe Salis gab Künstlern in dem Anfang der 1880er Jahre in Paris gegründeten Kabaretts „Le Chat Noir“ die Mög-lichkeit, eigene Kompositionen persönlich zu präsentieren. Das Aufführen von Sketchen und das Vortragen satirischer Gedichte und Aufsätze im kleinen Rahmen, der das Publikum miteinbezog, wurden später auch bei den „Elf Scharfrichtern“ in München und der Züricher Künstlerkneipe „Cabaret Voltaire“ eine beliebte Form der gesellschaftskritischen Unterhaltung. Vor allem auf die erwähnte Interaktion mit dem Publikum wurde großer Wert gelegt, das durch seine Reaktion das Bühnengeschehen aktiv mitgestalten sollte. Die Inszenierungen der Dadaisten folgten keinem vor-gefertigten, gut durchstrukturierten Drehbuch, sondern waren vielmehr auf Spontanität und im-provisierte Dialoge mit einzelnen Zuschauern ausgelegt. Die Trennung zwischen Bühnen- und Zu-schauerraum wurde somit nicht nur architektonisch weitestgehend aufgehoben, sondern auch mit-tels aktiver Handlungen minimiert. Das Publikum agierte sozusagen als Co-Produzent des Bühnen-geschehens. Mit diesem Anliegen griffen die Künstler im „Cabaret Voltaire“ auf eine Idee zurück, die ein französischer Schriftsteller bereits einige Jahrzehnte zuvor umzusetzen sich bemüht hatte. Durch die bewusste Provokation der Theaterbesucher in seinem bekanntesten Werk „Ubu Roi“, gelang es Alfred Jarry das Pariser Publikum aus der Reserve zu locken und das Theaterwesen des späten 19. Jahrhunderts in Aufruhr zu versetzen. In dem systematischen Bruch mit gesellschaftli-chen und ästhetischen Normen und Wertvorstellungen liegt eine weitere Parallele zu der späteren Züricher Künstlervereinigung. Es scheint naheliegend von einer mehr oder weniger direkten Be-zugnahme auf eine dieser Aufführungen „König Ubus“ zu schließen, wenn Hugo Ball 1914, noch vor der Gründung des Cabaret Voltaire, seine Vorstellungen des Theaters in einem Text für den geplanten, dann ab er nie erschienenen Almanach „Das Neue Theater“ wie folgt beschreibt:

„Das expressionistische Theater, so lautet meine These, ist eine Festspielidee und enthält eine neue Auffassung des Gesamtkunstwerkes. Die Kunstform der gegenwärtigen Theater ist impres-sionistisch. Die Vorgänge wenden sich an den Einzelnen, an den Verstand. Das Unterbewußte wird nicht gestört. Das neue Theater wird wieder Masken und Stelzen benützen. Es will die Urbil-der wecken und Megaphone gebrauchen. Sonne und Mond werden über die Bühne laufen und ihre erhabene Weisheit verkünden.“ (Hugo Ball, Die Flucht aus der Zeit, Luzern: Stocker 1946, S. 12)

Masken und Stelzen – beides sind Requisiten, die bei den Inszenierungen zum Werke Alfred Jarrys zum Einsatz kamen. Aber auch die Stilisierung und bildliche Vereinfachung verschiedener Elemente sind wesentlicher Bestandteil des Theaterstücks. Und obwohl Kandinsky erst 1911, knapp fünfzehn Jahre nach der Uraufführung von „Ubu Roi“, seinen Aufsatz „Über Bühnenkomposition“ publizierte, scheinen seine wesentlichen Forderungen in diesem Stück bereits erfüllt. Die Fusion aller Künste unter Beibehaltung ihrer Individualität und somit deren gleichwertige Behandlung ist für den Russen oberstes Gebot. Die Idee des Theaters als „Gesamtkunstwerk“ wird nicht zuletzt von den Künstlern des der Züricher Künstler-kneipe wiederaufgenommen und in die eigenen Inszenierungen integriert. Sowohl die bildende Kunst als auch Literatur, Musik und Tanz werden in die Soiréen des „Cabaret Voltaire“ mit einbezogen. Hierbei lassen sich die Mitglieder der Künstlerkneipe ebenso von kabarettistischen Arbeiten wie auch von Aspekten des „klassischen“ Theaters inspirieren, sodass die Grenzen der beiden Gattungen verschwimmen. Es etablierte sich eine Form des Schauspiels, die nicht mehr ausschließlich den höher gestellten Schichten, d. h. der gesellschaftlichen Elite, vorbehalten war, sondern sich viel mehr an ein bunt gemischtes Publikum richtete und der Allgemeinheit zugänglich gemacht wurde.

Danika Helbing

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