Dada in Berlin

Der deutsche Expressionismus, der sich in Berlin in den Jahren 1910 und 1911 entwickelte, kannte wie keine andere Kulturperiode viele Doppeltalente. Wassily Kandinsky, Oskar Kokoschka, Hans Arp, Kurt Schwitters, George Grosz, Else Lasker-Schüler sind nur die bekanntesten. Der Fokus dieser Künstler lag nicht nur im Bereich des Visuellen, auf der Malerei, sondern forderte das Hinübergreifen in die Dichtung. Die Großstadt Berlin war das Ergebnis eines rasanten wirtschaftlich-industriellen Wachstums seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, welches soziale Konflikte und Missstände mit sich brachte: neben der Schere zwischen Armut und Reichtum, prallten Ausbeutung und Aufstieg aufeinander. Die Großstadtkunst entwickelte sich jedoch nicht auf Grund des wirtschaftlichen Aufschwungs der Kaiserzeit. Sie stand genau im Widerspruch zu deren gesellschaftlichen Voraussetzungen.

Die von Herwarth Walden herausgegebene Zeitschrift Der Sturm war eines der ersten publizistischen Organe des Expressionismus. Die gleichnamige Galerie wurde die Stütze der modernen Kunstströmungen. So stellten neben den Expressionisten auch die Futuristen in der Galerie Der Sturm aus. Walden ermöglichte die Begegnung von Kunst und Literatur und propagierte die Idee des Aufhebens von Grenzen einzelner künstlerischer Bereiche. Und diese Vermischung und Verschmelzung war eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung der Dada-Bewegung in Berlin. Die Zürcher Dadaisten interessierten sich für Waldens Sturm-Programm. Bei Walden stellten die großen Künstler aus, die Berliner Dadaisten lehnten jedoch Walden auf Grund dieser Abhängigkeit von ihm ab.

Ende 1918 war die Stadt Berlin zu einer wirren politischen Szenerie geworden. Daraus kristallisierte sich die Dada-Bewegung. Sie war kein bloßer Ableger oder eine Verlängerung der Zürcher Dadaisten. Als Richard Huelsenbeck nach Berlin zurück emigrierte, schrieb er Tristan Tzara nach Zürich, dass Dada in Berlin bereits am Werk sei. Auf einem Expressionistenabend im Januar 1918 in Berlin verkündete Huelsenbeck ganz überraschend Dada und dies stellt die Geburtsstunde des Club Dada dar. Im April desselben Jahres fand eine Soiree statt, an der das dadaistische Manifest verlesen wurde. Die wichtigsten Namen der Berliner Dadaisten waren Richard Huelsenbeck, Wieland Herzfelde und John Heartfield, George Grosz, Walter Mehring, Johannes Baader, sowie Raoul Hausmann und seine Lebensgefährtin Hanna Höch. Man wollte mit Dada nicht nur provozieren, sondern sich auch etablieren: Hausmann und Huelsenbeck schwebte eine Galerie Dada vor. Sie wollten ein Konkurrenzunternehmen zum Sturm schaffen. Jedoch schien Dada bereits 1918 unterzugehen. Erst im April 1919 fand sich der Club Dada wieder zu einer Gruppe zusammen. Die Mitglieder gaben sich Dada-Titel: Baader war Oberdada, Hausmann Dadasoph, Grosz Propagandadada, Heartfield Monteurdada, Herzfelde Progressdada, Mehring Pipidada.

Nach einigen erfolglosen Versuchen, fand vom 30. Juni bis zum 25. August 1920 die Erste Internationale Dada Messe in Berlin statt. Initiator war der bereits erwähnte Club Dada, im Besonderen die drei Protagonisten der Berliner Dada-Bewegung George Grosz, Raoul Hausmann und John Heartfield. Die Ausstellung fand in zwei Räumen der Kunsthandlung von Dr. Otto Burchard statt. Die Ausstellung umfasste mehr als 160 Werke von mehr als 28 Künstlern. Mit siebzehn Künstlern, stammte ein Großteil der Ausstellenden aus Berlin, sechs aus anderen deutschen Städten, sowie vier aus dem europäischen Ausland, einer aus den USA. Die internationale Beteiligung war vor allem ein Verdienst des Kölner Dadaisten Max Ernst, der Werke von Hans Arp aus Zürich und Francis Picabia aus Paris nach Berlin brachte. Zuvor waren diese Werke auf den zwei Kölner Dada-Ausstellungen 1919 und 1920 gezeigt worden. Jedoch unterhielt Hans Arp ebenfalls private Kontakte zu den Berliner Dadaisten und dem Malik-Verlag, dem Verlag von Wieland Herzfelde, der für zahlreiche Dada-Publikationen verantwortlich war. Intensive internationale Beziehungen gab es allerdings nur zwischen Huelsenbeck, selbst aus Zürich nach Berlin gekommen, und Johannes Baader mit Hans Arp und Tristan Tzara, über den die Berliner Dadaisten von den Entwicklungen in Zürich und Paris erfuhren. Max Ernst und Francis Picabia distanzierten sich nach der Dada-Messe recht schnell von Berlin Dada.

George Grosz, Raoul Hausmann, Johannes Baader und John Heartfield die vier Hauptakteure auf der Dada-Messe, waren mit den meisten Werken vertreten. Richard Huelsenbeck war dagegen mit keinem Werk vertreten. Grund dafür waren Streitigkeiten besonders mit Hausmann im Vorfeld der Messe, woraufhin sich Huelsenbeck bereits im Frühjahr 1920 von der Gruppe distanzierte.

Die Dada-Ausstellung wurde Messe genannt, die ausgestellten Werke als Erzeugnisse tituliert. Ziel war es, die herkömmliche Kunstausstellung mittels der Betonung des Warencharakters der ausgestellten Werke zu unterlaufen. Im Katalog der Messe wurde zugleich die Aufhebung des Kunsthandels propagiert. Das Spiel mit Wiedersprüchen scheint bei Dada eine große Rolle zu spielen.

Kernaspekte der Berliner Dadaisten und der Ersten Internationalen Dada-Messe lassen sich an einigen ausgestellten Objekten erkennen: So war Dada sicherlich ikonoklastisch ausgerichtet. Dabei richtet sich die Bewegung nicht per se gegen das Kunstwerk selbst, sondern gegen den Kunst- und Kulturkanon des Bürgertums. Es sollen dabei keine Werke geschaffen werden die Bestand haben. Damit ist Dada ebenfalls im gewissen Sinne antibürgerlich ausgerichtet. Dies wird in einigen Werken und Parolen Raoul Hausmanns deutlich, in denen alles, was dem Bürger in den Nachkriegsjahren lieb und teuer ist, auf den Kopf gestellt wird. Dada verschließt sich mit seinen Erzeugnissen wie Montagen, Collagen, Bildmanipulationen und weltkriegskritischen Werken vollkommen dem Kunstmarkt und Geschmack der Nachkriegszeit. Dada ist dabei durchaus politisch, so beispielsweise in Werken wie Gott mit uns von George Grosz und Otto Dix 45% erwerbsfähig, die sich gegen den Militarismus positionieren und die Schuld am Krieg den passiven, konsumierenden Bürgern zuweist, die nach dem Krieg noch immer den reaktionären Kräften hinterherlaufen. Neben dem politischen Element, das sich besonders in der Ablehnung des Militarismus äußert, ist auch eine anarchistische Grundhaltung zu bemerken. Dada lehnt jegliche Politik gänzlich ab, besonders in den Werken Hausmanns wird diese ins Lächerliche gezogen. Ebenfalls kann Dada als antireligiös benannt werden, da in Werken wie der preußische Erzengel, eine Gemeinschaftsarbeit von John Heartfield und Rudolf Schlichter, und der Mappe Gott mit uns, die Druckgraphiken von George Grosz enthält, dem christlichen, protestantischen Glauben, der mit dem preußischen Militarismus eine Symbiose eingegangen war, eine wesentliche Kriegsschuld zugewiesen wird.

Oftmals wird Dada Berlin lediglich auf den politischen Aspekt reduziert, doch ist dies zu kurz gegriffen. Die Bewegung in Berlin muss im Kontext einer Zeit, die sich nach den Kriegswirren in einem fundamentalen gesellschaftlichen Umbruch befand, gesehen werden. Dabei stellt Dada Berlin keine homogene Gruppe dar, sondern ist eine Ansammlung unterschiedlichster Künstlerpersönlichkeiten, die unterschiedlichen Kunstströmungen entspringen und sich für kurze Zeit unter dem Namen Dada zusammenschlossen. Die Erste Internationale Dada-Messe stellt dabei den Höhepunkt und den letzten Versuch, eine Gruppe zu formen, dar. In der Folgezeit widmeten sich die Künstler eigenen Projekten.

Stephan Kuhn, Eugenia Weinstein

 

Weiterführende Literatur

Georg Brühl, Herwalth Walden und „Der Sturm “, 1983.

Hanne Bergius, Das Lachen Dadas. Die Berliner Dadaisten und ihre Aktionen, 1989.

Hanne Bergius, Montage und Metamechanik; Dada Berlin – Artistik von Polaritäten, Berlin 2000.

Wolfgang Paulsen, Deutsche Literatur des Expressionismus, hg. von Hans-Gert Roloff, Bd. 40: Germanische Lehrbuchsammlung, 2. überarb. Auflage, Berlin 1998.

Berlin 1910-1930. Die visuellen Künste, hg. von Eberhard Roters, Berlin 1983.

Stationen der Moderne. Die bedeutenden Kunstausstellungen des 20. Jahrhunderts in Deutschland, hg. von Eberhard Roters, Ausst.-Kat. Berlinische Galerie, Berlin 1988.

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