Dada und der anti-zivilisatorische Impuls

„Negerkunst“ im Dadaismus

Zanzibar

o mam re de mi ky/ nous avons échappé au Wahha, ha ha

So lauten die ersten Zeilen des dadaistischen Gedichts Zanzibar von Tristan Tzara. Angewidert vom ersten Weltkrieg, entwickelten die Dadaisten in Zürich eine Kunst ohne Sinn, die gegen gesellschaftliche Ideologien ihrer Zeit rebellierte. Die Fremdheit afrikanischer Kunst wurde von Dada eingesetzt, um eine Kunst der unverfälschten Reinheit wiederzufinden. Dabei fällt auf, dass es weniger um die wahrheitsgetreue Wiedergabe afrikanischen Kulturguts ging – Tzaras Gedicht ist mit Ausnahme einiger französischer Worte in einer erfundenen Sprache verfasst – sondern um die Abgrenzung von anderer europäischer Kunst durch die Ausrichtung am ‚Primitiven‘. Ästhetik drückte sich durch die Verwendung einer eigenen, religiös angehauchten Sprache, die von keinem Sinn mehr abhängig war, aus.

In Note sur l’art nègre beschreibt Tzara exemplarisch wie „Negerkunst“ von Dada aufgegriffen, beziehungsweise pauschalisiert wurde. Durch die Stigmatisierung als rein, naiv und primitiv wird deutlich, dass Tzaras Anschauung bedingt durch europäische Klischees und Werbung entstanden war. Nicht nur Tzara, auch Hugo Ball teilte diese Sicht der Dinge: „Die stärkste Verwandtschaft haben ihre Werke noch mit den Angstmasken der primitiven Urvölker, den Pest- und Schreckensmasken der Peruaner, Australier und Neger.“, schrieb er über die Künstler der Zeit. Diese aus heutiger Perspektive problematische Beurteilung von Afrikanern als primitiv, diente den Dadaisten als Leitvorstellung, sich gegen die eigene Kultur, die den Krieg gewähren ließ, zu stellen. „Er plädiert dafür, daß man den Rhythmus verstärkt (den Negerrhythmus). Er möchte am liebsten die Literatur in Grund und Boden trommeln.“, schrieb Ball über Huelsenbeck in seinem Tagebuch.  Die rückläufige, ‚primitive‘ Entwicklung der Dada-Bewegung in Zürich war darauf angelegt, ihr Publikum zu provozieren und schockieren. In der Tat waren die Zuschauer sprachlos, nachdem bei einer „soirée Dada“ ein Tanz, der einem ‚primitiven‘ Ritual nachempfunden sein könnte, aufgeführt worden war. Er versetzte seine Darsteller in einen Zustand der „motorischen Gewalt“ und ermöglichte ihnen den Zugang zu intuitivem Handeln. Diese Wirkung wurde, Balls Darstellung nach, durch die von Marcel Janco angefertigten Masken, die grob, wie von Kindern gefertigt waren, hervorgerufen. Das von Dada konstruierte Konzept einer „Negerkultur“ weist auf das Prinzip der Untrennbarkeit von Kunst und Lebenseinstellung hin. Die Vorstellung eines ursprünglichen, spontanen Ausdrucks verhalf  Dada dazu, sich von der vernunftgelenkten ‚Zivilisation‘ abzuheben. Der Sketch le célèbre illusioniste, der 1920 aufgeführt wurde, stellte den ‚Neger‘ auf satirische Weise dar: Philippe Soupault öffnete hierzu mit schwarz gemaltem Gesicht einen Koffer und ließ die darin befindlichen Luftballons mit einem Messer platzen. Auch hier zeigt sich die Ablehnung des Sinngehalts als Provokation auf den bestehenden Kunstbegriff und das Verlangen nach Befreiung aus der konservativen Zivilisation, dargestellt auf parodistische Weise, die an das weiße Publikum herantreten sollte. Dada verwendete die vermeintliche ‚Negerkunst‘ bewusst für sich, um einen vollkommen neuen ästhetischen Moment zu kreieren.

Sophia Caglayan

 

Weiterführende Literatur

Jan Gerstner, Die absolute Negerei. Kolonialdiskurse und Rassismus in der Avantgarde, Marburg: Tectum 2007.

Primitivismus in der Kunst des 20. Jahrhunderts, hrsg. von William S. Rubin, München: Prestel 1984.

Tristan Tzara, Notes sur l’art nègre. In: Œuvres complètes, Bd. 1, hrsg. von Henri Béhar, Paris: Flammarion 1975.

Die drei Gesichter der Galerie Dada

oder Verwirklichung eines Gesamtkunstwerks

Die Galerie Dada bildete den letzten wichtigen Meilenstein von Dada Zürich, für den sich alle aus dem Cabaret Voltaire bekannten Akteure noch einmal vereinten. Sie befand sich in der Bahnhofstraße 19 in Zürich und wurde am 17. März 1917 eröffnet. Zuvor befand sich in den gleichen Räumen die Galerie Corray, in der die Dadaisten im Januar 1917 gemeinsam mit dem Besitzer Han Corray die 1. Dada Ausstellung veranstaltet hatten. Danach übernahmen Hugo Ball und Tristan Tzara die Leitung der Galerie, beides keine bildenden Künstler und beide nicht mit kuratorischer Arbeit vertraut. Diese Aufgabe wurde durch die Übernahme von Wanderausstellungen, wie z. B. der „Sturm-Ausstellung“ Herwarth Waldens, Anderen überlassen. Der Schwerpunkt lag zwar grundsätzlich auf der Förderung neuester Kunst, die heute als typisch dadaistisch angesehenen Collagen und Masken Hans Arps und Marcel Jancos spielten in der Galerie jedoch keine große Rolle. Ein gezielter Fokus auf einzelne Künstler wurde durch Vorträge gelegt, die einen weiteren Teil des Konzepts ausmachten. Hervorgehoben wurden dabei Paul Klee und Wassily Kandinsky, deren Kunst als revolutionär und wegweisend für die neue Zeit dargestellt wurde.

Anders als im Cabaret Voltaire lag das Augenmerk auf der bildenden Kunst. Diese wurde aber zusätzlich mit anderen Künsten verknüpft: neben Führungen und Vorträgen bildeten Soiréen einen festen Bestandteil des Konzepts, die in ihrem Programm ans Cabaret Voltaire erinnerten. Diese Abende unter standen einem festen Motto, demzufolge das Programm zusammengestellt wurde. Wegen der Verbindung von Musik, Kunst und Literatur sprach Ball in seiner autobiographischen Aufzeichnung „Die Flucht aus der Zeit“ von der Verwirklichung eines Gesamtkunstwerks. Die unterschiedlichen konzeptuellen Aspekte ergaben den Charakter der Galerie, den Ball folgendermaßen zusammenfasste: „Die Galerie hat drei Gesichter. Tagsüber ist sie eine Art Lehrkörper […]. Am Abend […] ein Klub der entlegensten Philosophen. An den Soiréen aber werden hier Feste gefeiert von einem Glanz und Taumel, wie Zürich sie bis dahin nicht gesehen hat.“ (Die Flucht aus der Zeit, 10. Mai 1917).
Bereits Ende Mai 1917 wurde der Betrieb der Galerie wieder eingestellt, was mit der mangelnden beruflichen Qualifikation der Akteure, dem fehlenden Inhalt der Galerie und dem damit verbundenen ausbleibenden dauerhaften Erfolg zu begründen ist. Ball und Tzara gingen daraufhin im Streit auseinander. Ball verließ Zürich und kehrte Dada den Rücken zu.

Verena Westenweller