Dada New York

Was ist Dada New York? Um dies zu verstehen beginnen wir mit den Aktivitäten, die auch mit dem Label „Dada“ versehen wurden:

Im Jahr 1920 wird in der Pariser Zeitschrift „Littérature“ der Artikel „Dada est américain“ von Walter C. Arensberg, einem New Yorker Literaturwissenschaftler und Kunstsammler, veröffentlicht. Im gleichen Jahr findet in einer New Yorker Galerie ein Symposium der Société Anonyme Inc. statt, von Man Ray, Marcel Duchamp und Catherine Dreier gegründet, auf dem Marsden Hartley seinen Text „The Importance of Being Dada“ vorträgt. 1921 schreibt Tristan Tzara einen Brief an Man Ray und Marcel Duchamp, in dem er deklariert: „Dada gehört jedem!“ Daraufhin machen sich die Empfänger des Briefes an eine einzigartige Publikation, die sie New York Dada nennen. Kurz nach der Publikation reisen Marcel Duchamp und Man Ray nach Paris, wo sie die nächsten Jahrzehnte verbringen werden. Dada in New York findet somit sein jähes Ende.

Aber um zu verstehen, wie es dazu kommt, dass Dada in diesen wenigen Ereignissen seinen Moment  in New York hat, muss man die vorherigen Jahre mit in Betracht ziehen.

1915 kommt Marcel Duchamp nach New York. Er flieht einerseits vor dem Krieg in Europa, andererseits findet er in Paris kein Verständnis mehr für seine Kunstauffassung und hofft in Amerika auf bessere Resonanz zu treffen. In den nächsten Jahren findet sich im Apartment von Walter C. Arensberg eine Gruppe zusammen, die eine neue Avantgarde von New York bilden wird. Neben Marcel Duchamp und Man Ray gehören unter anderem Katherine Dreier, eine New Yorker Künstlerin mit deutschen Wurzeln, Arthur Cravan, ein englischer Intellektueller, und Elsa von Freytag-Loringhoven dazu. Finden sich vielleicht anhand von diesen Personen noch weitere Dada-Momente? Um für die Ausstellung der Independant Artists 1917 zu werben, hielt Cravan eine Vorlesung über “The Independent Artists of France and America”  wobei er das bürgerliche Publikum betrunken beschimpfte und mit Schmutzwäsche bewarf. Und sind es nicht die Provokation und der Skandal, welche man mit Dada verbindet? Auch in Berlin und Zürich haben sich ähnliche provozierende Aktionen ereignet.

Skandalös auf eine bestimmte Art und Weise war die erwähnte Person der Baronin Elsa von Freytag-Loringhoven. Sie verkleidete sich, rasierte sich den Schädel und trug verrückte Gegenstände als Hut oder gebrauchte sie als Kleidungsstück. Und kennen wir Verkleidungen nicht schon als ein Mittel aus dem Cabaret Voltaire in Zürich?

Bekannt ist außerdem die Tatsache, dass Walter Arensberg und Marcel Duchamp sich gegenseitig immer wieder neue Rätsel in Form von Wortspielen zugeschoben haben. Das Thema Sprache kennen wir schon von den Dada-Zentren in Europa, nicht wahr?

Von den Wortspielen ist der Weg zu Rrose Sélavy (gesprochen wie „Eros, c’est la vie“ deutsch „Eros ist das Leben“) nicht weit. Diesen Namen gibt Marcel Duchamp seinem Alter Ego, das die Gestalt einer koketten Dame annimmt. Er zog dafür Frauenkleider an und ließ sich Man Ray so fotografieren. Eines dieser Bilder wurde zu einer Art fiktiven Werbung verarbeitet und auf dem Cover des erwähnten Magazins „New York Dada“ verwendet. Damit wird die Inspiration der anderen Dada-Bewegungen durch die Werbung aufgegriffen und gleichzeitig das Motiv der Verkleidung wiederholt. Allerdings bringt Duchamp mit der ironischen Überschreitung der Geschlechteridentät ein Thema auf, das bis dahin von anderen Dadas umgangen war. Kann man dies dann dennoch als einen Dada-Moment ansehen? Der Inhalt des Dada-Magazins ist typografisch, aber auch von Texten und Bildern her mit den anderen Dada-Publikationen aus Europa vergleichbar. Nicht vergleichen lässt sich sicherlich das Arensberg-Appartment als Zentrale der New Yorker Avantgarde mit dem Cabaret Voltaire als Mittelpunkt der Dada-Bewegung in Zürich. Dieses war eine öffentliche Künstlerkneipe, in der auf einer Bühne Auftritte stattfanden, wohingegen die Abende in jenem auf privater und diskursiver Ebene stattfanden. Dafür aber gab es in New York noch die Verbindung zu Alfred Stieglitz’ Galerie 291.

Was waren diese Jahre in New York? Gab es Dada in New York? Blickt man auf die Jahre 1915 bis 1921 so zeigen sich einige Momente, die Dada plakatieren. Viel wichtiger ist jedoch, dass sich in diesen Jahren eine Freude an Experimenten in der Kunst entwickelte, was in den Folgejahren noch Auswirkungen haben sollte.

Anna-Lena Brunecker und Carolin Langer

Dada in Berlin

Der deutsche Expressionismus, der sich in Berlin in den Jahren 1910 und 1911 entwickelte, kannte wie keine andere Kulturperiode viele Doppeltalente. Wassily Kandinsky, Oskar Kokoschka, Hans Arp, Kurt Schwitters, George Grosz, Else Lasker-Schüler sind nur die bekanntesten. Der Fokus dieser Künstler lag nicht nur im Bereich des Visuellen, auf der Malerei, sondern forderte das Hinübergreifen in die Dichtung. Die Großstadt Berlin war das Ergebnis eines rasanten wirtschaftlich-industriellen Wachstums seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, welches soziale Konflikte und Missstände mit sich brachte: neben der Schere zwischen Armut und Reichtum, prallten Ausbeutung und Aufstieg aufeinander. Die Großstadtkunst entwickelte sich jedoch nicht auf Grund des wirtschaftlichen Aufschwungs der Kaiserzeit. Sie stand genau im Widerspruch zu deren gesellschaftlichen Voraussetzungen.

Die von Herwarth Walden herausgegebene Zeitschrift Der Sturm war eines der ersten publizistischen Organe des Expressionismus. Die gleichnamige Galerie wurde die Stütze der modernen Kunstströmungen. So stellten neben den Expressionisten auch die Futuristen in der Galerie Der Sturm aus. Walden ermöglichte die Begegnung von Kunst und Literatur und propagierte die Idee des Aufhebens von Grenzen einzelner künstlerischer Bereiche. Und diese Vermischung und Verschmelzung war eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung der Dada-Bewegung in Berlin. Die Zürcher Dadaisten interessierten sich für Waldens Sturm-Programm. Bei Walden stellten die großen Künstler aus, die Berliner Dadaisten lehnten jedoch Walden auf Grund dieser Abhängigkeit von ihm ab.

Ende 1918 war die Stadt Berlin zu einer wirren politischen Szenerie geworden. Daraus kristallisierte sich die Dada-Bewegung. Sie war kein bloßer Ableger oder eine Verlängerung der Zürcher Dadaisten. Als Richard Huelsenbeck nach Berlin zurück emigrierte, schrieb er Tristan Tzara nach Zürich, dass Dada in Berlin bereits am Werk sei. Auf einem Expressionistenabend im Januar 1918 in Berlin verkündete Huelsenbeck ganz überraschend Dada und dies stellt die Geburtsstunde des Club Dada dar. Im April desselben Jahres fand eine Soiree statt, an der das dadaistische Manifest verlesen wurde. Die wichtigsten Namen der Berliner Dadaisten waren Richard Huelsenbeck, Wieland Herzfelde und John Heartfield, George Grosz, Walter Mehring, Johannes Baader, sowie Raoul Hausmann und seine Lebensgefährtin Hanna Höch. Man wollte mit Dada nicht nur provozieren, sondern sich auch etablieren: Hausmann und Huelsenbeck schwebte eine Galerie Dada vor. Sie wollten ein Konkurrenzunternehmen zum Sturm schaffen. Jedoch schien Dada bereits 1918 unterzugehen. Erst im April 1919 fand sich der Club Dada wieder zu einer Gruppe zusammen. Die Mitglieder gaben sich Dada-Titel: Baader war Oberdada, Hausmann Dadasoph, Grosz Propagandadada, Heartfield Monteurdada, Herzfelde Progressdada, Mehring Pipidada.

Nach einigen erfolglosen Versuchen, fand vom 30. Juni bis zum 25. August 1920 die Erste Internationale Dada Messe in Berlin statt. Initiator war der bereits erwähnte Club Dada, im Besonderen die drei Protagonisten der Berliner Dada-Bewegung George Grosz, Raoul Hausmann und John Heartfield. Die Ausstellung fand in zwei Räumen der Kunsthandlung von Dr. Otto Burchard statt. Die Ausstellung umfasste mehr als 160 Werke von mehr als 28 Künstlern. Mit siebzehn Künstlern, stammte ein Großteil der Ausstellenden aus Berlin, sechs aus anderen deutschen Städten, sowie vier aus dem europäischen Ausland, einer aus den USA. Die internationale Beteiligung war vor allem ein Verdienst des Kölner Dadaisten Max Ernst, der Werke von Hans Arp aus Zürich und Francis Picabia aus Paris nach Berlin brachte. Zuvor waren diese Werke auf den zwei Kölner Dada-Ausstellungen 1919 und 1920 gezeigt worden. Jedoch unterhielt Hans Arp ebenfalls private Kontakte zu den Berliner Dadaisten und dem Malik-Verlag, dem Verlag von Wieland Herzfelde, der für zahlreiche Dada-Publikationen verantwortlich war. Intensive internationale Beziehungen gab es allerdings nur zwischen Huelsenbeck, selbst aus Zürich nach Berlin gekommen, und Johannes Baader mit Hans Arp und Tristan Tzara, über den die Berliner Dadaisten von den Entwicklungen in Zürich und Paris erfuhren. Max Ernst und Francis Picabia distanzierten sich nach der Dada-Messe recht schnell von Berlin Dada.

George Grosz, Raoul Hausmann, Johannes Baader und John Heartfield die vier Hauptakteure auf der Dada-Messe, waren mit den meisten Werken vertreten. Richard Huelsenbeck war dagegen mit keinem Werk vertreten. Grund dafür waren Streitigkeiten besonders mit Hausmann im Vorfeld der Messe, woraufhin sich Huelsenbeck bereits im Frühjahr 1920 von der Gruppe distanzierte.

Die Dada-Ausstellung wurde Messe genannt, die ausgestellten Werke als Erzeugnisse tituliert. Ziel war es, die herkömmliche Kunstausstellung mittels der Betonung des Warencharakters der ausgestellten Werke zu unterlaufen. Im Katalog der Messe wurde zugleich die Aufhebung des Kunsthandels propagiert. Das Spiel mit Wiedersprüchen scheint bei Dada eine große Rolle zu spielen.

Kernaspekte der Berliner Dadaisten und der Ersten Internationalen Dada-Messe lassen sich an einigen ausgestellten Objekten erkennen: So war Dada sicherlich ikonoklastisch ausgerichtet. Dabei richtet sich die Bewegung nicht per se gegen das Kunstwerk selbst, sondern gegen den Kunst- und Kulturkanon des Bürgertums. Es sollen dabei keine Werke geschaffen werden die Bestand haben. Damit ist Dada ebenfalls im gewissen Sinne antibürgerlich ausgerichtet. Dies wird in einigen Werken und Parolen Raoul Hausmanns deutlich, in denen alles, was dem Bürger in den Nachkriegsjahren lieb und teuer ist, auf den Kopf gestellt wird. Dada verschließt sich mit seinen Erzeugnissen wie Montagen, Collagen, Bildmanipulationen und weltkriegskritischen Werken vollkommen dem Kunstmarkt und Geschmack der Nachkriegszeit. Dada ist dabei durchaus politisch, so beispielsweise in Werken wie Gott mit uns von George Grosz und Otto Dix 45% erwerbsfähig, die sich gegen den Militarismus positionieren und die Schuld am Krieg den passiven, konsumierenden Bürgern zuweist, die nach dem Krieg noch immer den reaktionären Kräften hinterherlaufen. Neben dem politischen Element, das sich besonders in der Ablehnung des Militarismus äußert, ist auch eine anarchistische Grundhaltung zu bemerken. Dada lehnt jegliche Politik gänzlich ab, besonders in den Werken Hausmanns wird diese ins Lächerliche gezogen. Ebenfalls kann Dada als antireligiös benannt werden, da in Werken wie der preußische Erzengel, eine Gemeinschaftsarbeit von John Heartfield und Rudolf Schlichter, und der Mappe Gott mit uns, die Druckgraphiken von George Grosz enthält, dem christlichen, protestantischen Glauben, der mit dem preußischen Militarismus eine Symbiose eingegangen war, eine wesentliche Kriegsschuld zugewiesen wird.

Oftmals wird Dada Berlin lediglich auf den politischen Aspekt reduziert, doch ist dies zu kurz gegriffen. Die Bewegung in Berlin muss im Kontext einer Zeit, die sich nach den Kriegswirren in einem fundamentalen gesellschaftlichen Umbruch befand, gesehen werden. Dabei stellt Dada Berlin keine homogene Gruppe dar, sondern ist eine Ansammlung unterschiedlichster Künstlerpersönlichkeiten, die unterschiedlichen Kunstströmungen entspringen und sich für kurze Zeit unter dem Namen Dada zusammenschlossen. Die Erste Internationale Dada-Messe stellt dabei den Höhepunkt und den letzten Versuch, eine Gruppe zu formen, dar. In der Folgezeit widmeten sich die Künstler eigenen Projekten.

Stephan Kuhn, Eugenia Weinstein

 

Weiterführende Literatur

Georg Brühl, Herwalth Walden und „Der Sturm “, 1983.

Hanne Bergius, Das Lachen Dadas. Die Berliner Dadaisten und ihre Aktionen, 1989.

Hanne Bergius, Montage und Metamechanik; Dada Berlin – Artistik von Polaritäten, Berlin 2000.

Wolfgang Paulsen, Deutsche Literatur des Expressionismus, hg. von Hans-Gert Roloff, Bd. 40: Germanische Lehrbuchsammlung, 2. überarb. Auflage, Berlin 1998.

Berlin 1910-1930. Die visuellen Künste, hg. von Eberhard Roters, Berlin 1983.

Stationen der Moderne. Die bedeutenden Kunstausstellungen des 20. Jahrhunderts in Deutschland, hg. von Eberhard Roters, Ausst.-Kat. Berlinische Galerie, Berlin 1988.