Dada-Sprache

„Alle lebendige Kunst aber wird irrational, primitiv und komplexhaft sein, eine Geheimsprache führen und Dokumente nicht der Erbauung, sondern der Paradoxie hinterlassen“ (Hugo Ball, 1915, Flucht aus der Zeit)

Die Lautgedichte gehören zu den wertvollsten Zeugnissen des Dadaismus. Obwohl auf den ersten Blick unsinnig und inhaltslos erscheinend, beinhalten sie den programmatischen Kern der frühen Züricher Dadaisten. Hugo Ball, Mitbegründer des Cabaret Voltaire, nimmt in diesem Rahmen eine Schlüsselrolle ein. Durch seine Inszenierung im Juni 1916 als magischer Bischof, gilt er bis heute als Pionier auf dem Gebiet der Lautdichtung.

In den Zeiten des Ersten Weltkriegs und der damit verbundenen Kriegspropaganda, beginnt Balls Kritik bei dem Gebrauch der Sprache als rein funktionales Kommunikationsinstrument. Zudem verabscheut er den Materialismus und die fortschreitende Ökonomisierung des gesellschaftlichen Lebens wie sie im Sprachgebrauch des Bildungsbürgertums zum Ausdruck kommen. Aufgrund dieses Missbrauchs seien die konventionellen Worte unbrauchbar geworden.

Als logische Konsequenz daraus, sieht er den kompletten Verzicht auf die traditionelle Sprache als gangbaren Weg an. Ein Künstler soll nicht fremde Worte benützen müssen, sondern in einem schöpferischen Akt eigene Worte finden. Dies ermöglicht die Rückbesinnung auf das Wesentliche; den Ur-Sinn.

Die „Wortlosigkeit“ der Lautdichtung ermöglicht unmittelbare Eindrücke im Gegenüber und konstituiert damit eine Ästhetik der Assoziationen. Auf diese Weise birgt der Protest gegen die herkömmliche Sprache einen Schaffensmoment. Er liegt in der Entstehung und gleichzeitigen Überwindung von Paradoxen. Das Losmachen von Sinn und Annehmen der Unmittelbarkeit lässt einen Moment totaler Indifferenz eintreten, in welchem Gegensätze verschmelzen. Es entsteht eine unverbrauchte Geheimsprache, lingua divina, die nur der Künstler kennt.

Dada spielt mit Unsinn. Wie in der Lautdichtung findet sich im Moment der Überwindung von Sinn und (konventioneller) Ordnung die Möglichkeit des Unmittelbaren. Wie Kandinsky schon sagte: „Abstraktion heißt hier nicht gegenstandslos, sondern ‘konkret‘.“ (Über das Geistige in der Kunst).

Anna-Stephanie Gurt

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